Vocal Experience Workshop
in Bermatingen (Bodensee)
Artikel vom Südkurier Ausgabe Nr. 93
vom Mittwoch, 23. April 2003
Foto: Siegfried
Amann
Musikproduzent und Bandmusiker Wolfgang von Boyen arbeitet seit 15 Jahren
nach dem von ihm entwickelten Konzept "Vocal Experience", das
er in der Bermatinger Grundschule den 15 Kursteilnehmern
des Gesangs-Workshops näher brachte.
Gesang als Anfang und Ende der Schöpfung
Wolfgang von Boyen geht mit "Vocal Experience" auf eine Entdeckungsreise von Stimme und Seele
Gott ist ein Sänger, dessen ist sich Wolfgang von Boyen sicher und "der Mensch ist ganz Ohr". Den überwältigenden Klang der Stille hören lernen, das war eines der zentralen Anliegen des Gesangs- Workshops "Vocal Experience" in der Bermatinger Grundschule. Musikproduzent und Bandmusiker Wolfgang von Boyen führte im Namen der Volkshochschule 15 Interessierte auf eine Reise in "das unerhörte Innerste", um den "Wohlklang der eigenen Stimme zu entdecken". Seit 15 Jahren arbeitet er mit großem Erfolg nach dem von ihm entwickelten Konzept "Vocal Experience", das eine "neue Art der Singens" postuliert.
Das ist vielen Schöpfungsmythen und Religionen, auch der christlichen und auch den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gemein: Am Anfang steht das Wort oder der Gesang. Und dazu müsse man wiederentdecken, was heute häufig verschüttet sei: Das Hören. Für die meisten Kursteilnehmer war daher überraschend, dass der Gesanglehrer ein "Plädoyer für die Stille" hielt.
"Jeder muss ein Beobachter seiner Klänge werden und nur das innere Lauschen führt uns zur
Wahrnehmung der Schönheit unserer Stimmen".
Technik oder Notenschrift seien ebenso äußere wie verzichtbare Hilfsmittel, die dazu dienten, der einmal gefundenen inneren Harmonie Ausdruck zu verleihen. Von Boyen habe sich nach dem Studium als
Orchestermusiker und vielen Engagements als aktiver Musiker von der zunehmenden Verkrustungen in der Musik abgewandt. In ausgedehnten Fernostreisen hat er Zugang zu unterschiedlichsten
Herangehensweisen an die Musik gefunden und ein einheitliches Muster ausmachen können. So muten die auf einem einzigen Ton vorgetragenen Gesänge tibetanischer Mönche zwar fremd an, jedoch sei die
beruhigende Wirkung auf den Gemütszustand des Menschen auch in heimischen Kinderschlafzimmern leicht nachprüfbar. Das bloße Summen eines Tones lasse "Menschen in die Stille kommen" und entspannt
einschlafen.
"Achtet man auf Atmung, die Stimme, Gefühle und nimmt sich selbst wahr, so ergibt das einen jedem Individuum zugeordneten typischen Ton, die innere Seelenschwingung", erklärte der Musikpädagoge. Der Urlaut oder so genannte "Glockenton" lasse sich
ermitteln, indem man auf jede Manipulation verzichte und bei geschlossenen Lippen lediglich
ein "M" summe.
Nicht nur praktische Übungen zum Glockenton, sondern auch die philosophischen Hintergründe waren Bestandteil des beeindruckenden Kurses, der sich gerade auch an diejenigen richtet, die glauben,
nicht singen zu können: "Das erste, was man hört, wenn man hören gelernt hat, sind die Fragen, die man zu überhören sich angewöhnt hat. Ich bin tief bewegt und werde über einiges, was über
den Kurs hinausgeht, nachdenken müssen." So wie dieser Teilnehmerin erging es vielen. Wer nicht hören will, kann auch nicht fühlen, sagt der Dozent.
Weiterer Programmpunkt war die Erarbeitung der fünf Grundvokale, die das gesamte
menschliche Gefühlsspektrum repräsentierten: "Das sind grundsätzlich verschiedene Archetypen. Zudem gibt es so viele verschiedene A wie es Menschen gibt".
Der durchschlagende Erfolg der Unterrichtsmethode machte sich deutlich, als die Kursteilnehmer ohne weitere Anleitung mehrstimmige Gesangsstücke anstimmten: "Das ist unglaublich. Viele Chöre proben
für ein solches Ergebnis jahrelang und haben ausgebildete Stimmen in ihren Reihen", zeigte sich ein Teilnehmer beeindruckt. Siegfried Amann